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Warum ein Skript im Physikunterricht?
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offene Aufgaben?
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Warum offene Aufgaben
1. Meine Erfahrung als Schüler mit Rechenaufgaben im Physikunterricht
Im (natürlich sehr subjektiven) Rückblick auf meinen eigenen
Physikunterricht als Schüler fallen mir zuerst Rechenaufgaben ein. Der
Physikunterricht fand in meiner Erinnerung in erster Linie an der Tafel
statt. Als faulem Schüler mit einer Liebe zur Mathematik war mir das sehr
recht, denn man brauchte eigentlich nur die für das jeweils aktuelle Thema
relevante Formel (manchmal waren es auch 2-3) auswendig zu lernen, die
Aufgabentexte nach den in den Formeln auftauchenden Buchstaben zu
durchforsten, die Formeln nach der gesuchten Größe umzustellen und die
gegebenen Zahlen einzusetzen. Ein Verständnis war für das Erreichen einer
guten Note (meistens) nicht notwendig. Daher hatte ich in den Anfängervorlesungen
an der Universität trotz Leistungskurs Physik und einer sehr guten
Abiturprüfung Schwierigkeiten damit, beispielsweise die Begriffe Stromstärke
und Spannung zu unterscheiden. Zur Ehrenrettung meiner Lehrer behaupte ich
nicht, dass sie sich nicht alle Mühe gegeben hätten mir den Unterschied
zwischen Stromstärke und Spannung zu erklären. Ein Verständnis war jedoch
für das Erreichen von guten Noten nicht erforderlich.
2. Schlussfolgerungen für meinen Physikunterricht als
Lehrer
Daher habe ich für meinen Physikunterricht als Lehrer folgenden Schluss
gezogen:
Das Rechnen von Aufgaben kann immer nur der zweite
Schritt sein. Zunächst müssen die Phänomene verstanden und das zugehörige
Modell an möglichst zahlreichen schülerrelevanten Beispielen erprobt und
eingeübt sein. Die Schüler müssen dabei lernen, ihre Alltagsvorstellungen
außen vor zu lassen und sich bei Argumentationen soweit es irgend möglich
ist, auf das im Unterricht behandelte Modell zu beschränken. Durch die
strikte Beschränkung auf die Argumentation mit Hilfe des Modells wird dem
Eindruck entgegengewirkt, dass Physik "unlogisch" sei, nur weil manches dem
Alltagswissen zu widersprechen scheint. Dabei sind nach meiner Meinung
Schülerfragen die besten Aufhänger für das Einüben der Argumentation mit
Hilfe des passenden Modells.
Dennoch: Ohne Rechnungen geht es im Physikunterricht natürlich nicht, aber
die Aufgaben sollten von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen nicht schematisch
gelöst werden können, sondern immer zunächst die Anwendung des gerade im
Unterricht behandelten Modells erfordern. In der Tabelle unten habe ich
einigen typischen Standardaufgaben offene Fragen zum gleichen Modell
gegenüber gestellt und anschließend auch die Vorteile einer offenen
Aufgabenstellung gegenüber der entsprechenden Standardaufgabe aufgezeigt.
Gute offene Aufgaben ergeben sich dabei häufig aus einer Schülerfrage. Durch das Eingehen auf Schülerfragen schlägt
man zudem mehrere Fliegen mit einer Klappe:
-
Es wird ein Thema behandelt, das in der ganz
überwiegenden Mehrzahl der Fälle nicht nur den fragenden Schüler
interessiert.
-
Die Schüler bekommen das Gefühl, ernst genommen zu
werden. Ihre Frage wird wertgeschätzt, indem sie einen wesentlichen Aspekt
des Unterrichts darstellt und nicht einfach als eine Störung des
eigentlichen Unterrichtsgeschehens möglichst rasch abgetan wird.
-
Die Schüler erkennen, dass die Physik als Wissenschaft
nicht lebensfern ist, sondern Hilfen bei der Bewältigung des Alltags bieten
kann.
-
Die quantitative Beantwortung von Schülerfragen ist per
se eine offene Aufgabenstellung, denn solche Fragen sind nicht im üblichen
Wortlaut von Aufgabensammlungen "Gegeben,... Gesucht..." formuliert.
Ist das Modell so weit verstanden, dass man den Versuch
wagen kann, es auf quantitative Probleme anzuwenden, so bevorzuge ich
Aufgaben wie sie im folgenden Abschnitt beschrieben werden:
3. Meine Vorstellung von guten
Physikaufgaben:
-
Am Anfang steht eine offene
Problemstellungen ohne konkrete Zahlenangaben wie z.B.
Die Beispiellösungen zeigen,
wie ich diese Probleme im Unterricht an einem sprachlichen Gymnasium mit
2-stündigem!! Physikunterricht behandle.
-
Ich suche mit den Schülern ein geeignetes Modell (z.B.
Muskelabwärme dient zur Verdampfung von Schweiß) und überlege, welche
Angaben für die Rechnung benötigt werden.
-
Die Schüler besorgen sich die fehlenden Zahlenwerte.
Möglichkeiten dazu
-
Die Zahlen, die auf meinem Formelblatt stehen
sind auswendig zu wissen (z.B. spezifische Wärmekapazität von Wasser = 1
cal/g)
-
Man schätzt (ggf. mit Hilfe von Faustregeln) die
Größenordnung ab.
-
Man erfragt sie bei Lehrer, Eltern, Internet,
Lexikon, Experten, ...
-
Jetzt ist aus dem Problem eine übliche Aufgabe geworden,
die auf übliche Weise gelöst wird.
-
Eigentlich gehört auch eine Betrachtung der Genauigkeit
des Ergebnisses dazu. Dies schaffe ich aber zugegebenermaßen im
zweistündigen Unterricht nur selten.
Solche Aufgaben fördern nachhaltiges Wissen im
Fach Physik durch:
-
Vermittlung von naturwissenschaftlichem
Grundwissen. Dazu gehören:
-
Größenordnung wichtiger
Zahlenwerte wie Licht- und Schallgeschwindigkeit, Dichte von Wasser und
Luft,...
-
Faustregeln wie Kugelvolumen
gleich halbes Würfelvolumen,...
-
Fachübergreifende
Zusammenhänge z.B. mit der Medizin
-
Vorbereitung auf die Anwendung der Physik
im Lebensalltag, Berufsalltag oder im Studium. Dort auftauchende Probleme sind
schließlich auch nicht
mit "gegeben,... und gesucht,..." formuliert.
-
Heranführen an physikalisches Denken, statt
sturem Umstellen der immer gleichen Formel nach der gesuchten Größe.
-
Verständnis alltäglicher Vorgänge
-
Darstellen der Physik als eine interessante
Wissenschaft
4. Beispielhafte Gegenüberstellung von
Offenen Aufgaben und Standardaufgaben
Themenbereich |
Standardaufgaben |
Offene Aufgaben |
Lageenergie |
Fritz hat eine Masse von m = 56 kg. Er macht eine Bergtour und
überwindet dabei einen Höhenunterschied von h = 1000 m. Berechne die
Lageenergie Epot , die Fritz auf dem Berggipfel gegenüber
seinem Ausgangspunkt im Tal besitzt. (Hinweis: Der Ortsfaktor der Erde
beträgt gE = 10 N/kg) |
Wie
viele kcal „verbrauchst“ Du, wenn Du im eine Bergtour machst. |
Ohmsches Gesetz und elektrische
Leistung |
An
einen Widerstand mit R = 55 W wird eine Spannung von U = 230 V gelegt.
Berechne die Stärke I des fließenden Stromes sowie die Leistung P. |
Gib
mit Hilfe des Typenschildes eures Toasters (oder eines anderen
Elektrogerätes) an:
1.
Die
Spannung, an die der Toaster anzuschließen ist
2.
Die
Stärke des im Toaster fließenden Stromes
3.
Die
Leistung des Toasters
4.
Den
Widerstand des Toasters
(Anmerkung für den
Leser: Meist stehen auf dem Typenschild nur Angaben wie 230 V; 1000 W;
50 Hz) |
Energieumwandlung |
Mit
Hilfe seines Stabes wandelt ein Stabhochspringer Bewegungsenergie
nahezu vollständig in potenzielle Energie um. Wie hoch kann er
springen, wenn seine Anlaufgeschwindigkeit ca. v = 9 m/s beträgt? |
Warum nimmt ein Stabhochspringer Anlauf? Wie hoch kann er springen?
Warum springt ein Sportler mit Stab höher als ohne? Hinweis: Ein
Stabhochspringer läuft langsamer als ein Weltklasse-Sprinter. |
Wärmelehre |
Wie
viel Wasser kann man mit einer Wärmemenge von Q = 1 kWh zunächst von
Zimmertemperatur auf Siedetemperatur zu bringen und anschließend zu
verdampfen |
Wie
viel Wasser schwitzt ein Bergsteiger aus?
(Anmerkung für den
Leser: Aus meinem Skript ist den Schülern bekannt, dass der
Wirkungsgrad der Muskulatur ca.1/6bis 1/5 beträgt) |
5. Gegenüberstellung der Merkmale Offener Aufgaben und
Standardaufgaben
Themenbereich |
Standardaufgaben |
Offene Aufgaben |
Aufgabenstellung |
Die
Aufgabe enthält ausschließlich die benötigten Angaben. Im schlimmsten
Fall ist sogar das zugehörige Formelsymbol mit angegeben. |
Am Anfang steht eine
in Alltagssprache formulierte Frage, die daher meist keine konkreten
Zahlenangaben enthält. |
Modellbildung |
Die
Suche nach einem geeigneten Modell entfällt, der Schüler sucht in der
Formelsammlung oder bestenfalls in seinem Gedächtnis nach einer Formel
die die in der Aufgabenstellung vorkommenden Buchstaben enthält, ohne
deren Bedeutung zu kennen oder ein Modell verstanden zu haben. |
Ich suche mit den
Schülern ein geeignetes Modell (z.B: Bei einer Bergtour nimmt man ab,
weil im Muskel gespeicherte chemische Energie in potenzielle Energie und
Wärme umgewandelt wird. Die Wärme wird zum großen Teil durch Verdampfen
von Wasser abgeführt.) |
Recherchieren oder Qualifiziertes
Schätzen fehlender Angaben |
Die
Zahlenwerte sind alle angegeben. Eine Recherche ist nicht notwendig. |
Die Schüler
recherchieren die fehlenden Zahlenwerte. Möglichkeiten dazu
-
Die grundlegenden
Dinge sind auswendig zu wissen (z.B. Ortsfaktor der Erde)
-
Andere Zahlen kann man
(ggf. mit Hilfe von Faustregeln) in ihrer Größenordnung abschätzen
(z.B. Masse der Erde aus dem auswendig zu wissenden Umfang).
-
Anderes erfragt man
bei Lehrer, Eltern, Internet, Lexikon, Experten, ...(cw-Wert des
familieneigenen PKW
|
Lösung |
Der
Schüler stellt die abgelesene oder günstigenfalls memorierte Formel nach
der gesuchten Größe um und setzt die gegebenen Zahlenwerte ein. |
Jetzt ist aus dem
Problem eine übliche Aufgabe geworden, die auf übliche Weise gelöst
wird. |
Reflektion |
Eine
Reflektion des Ergebnisses findet häufig nicht statt, da sich ohne
Verständnis auch kein Gefühl für Größenordnungen ausbilden kann.
Antworten wie: „Die Stromstärke im Toaster beträgt 200 kA“ sind daher
keine Seltenheit. |
-
Durch das
qualifizierte Schätzen der für die Rechnung erforderlichen
Eingangsdaten der Rechung erhalten die Schüler neben einem wichtigen
Beitrag zur Allgemeinbildung auch ein Gefühl dafür, ob das errechnete Ergebnis
plausibel ist.
-
Zur Reflektion des Ergebnisses
gehört auch eine Fehlerabschätzung. Eine rechnerische
Fehlerbetrachtung schaffe ich im zweistündigen
Unterricht leider nur selten. Am Ende einer jeden Aufgabe stehen
jedoch die Frage nach Nebeneffekten, vorgenommenen Vereinfachungen
etc. Was auch schon ein Gefühl dafür aufkommen lässt, ob bei dem
errechneten Ergebnis vermutlich nur die Zahl der Nullen stimmt, ob man
möglicherweise um einen Faktor daneben liegt oder vermutlich nur
um wenige Prozent.
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Fazit |
-
Die Schüler können
Aufgaben korrekt lösen ohne die geringste Vorstellung der zugrunde
liegenden Physik zu haben. Es genügt, einen mathematischen Formalismus
anzuwenden.
-
Die Mathematiknote
bestimmt im Wesentlichen die Physiknote
|
Die Schüler lernen
physikalische Alltagsfragen systematisch mit Hilfe des passenden
physikalischen Modells zu beantworten. Sie lernen Größenordnungen zu
schätzen sowie Ergebnisse kritisch zu hinterfragen und auf Plausibilität
zu prüfen. |
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